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Platons Vorstellung vom Kugelmenschen

Platons Vorstellung vom Kugelmenschen


Die menschliche Seele und die Liebe seien von Natur aus untrennbar verbunden, sagen die Überlieferungen vieler Kulturen. In der griechischen Antike waren „Eros“ und „Psyche“ ein legendäres Paar (oder in Rom: „Cupid“ und „Anima“, was dasselbe bedeutet), und viele Märchen handeln davon, dass die Seele die Liebe sucht.1

Allerdings ist die Liebe hier noch nicht personalisiert, sprich es geht zwar um einen Partner, der den Eros verkörpert, aber nicht um den einzig möglichen oder den „Seelenpartner“. Das geschichtlich erste und wahrscheinlich bekannteste Zeugnis von unserer heutigen Vorstellung vom „Seelenpartner“ findet sich beim griechischen Philosophen Platon. Platon lebte vermutlich um 428-348 vor unserer Zeitrechnung und war ein begnadeter Dichter und Denker, dessen Dialoge wichtige Fragen der Ethik, der Metaphysik und der menschlichen Erkenntnis behandeln. In seinem Dialog „Symposion“ – auf Deutsch „Das Gastmahl“ – geht es um einen ganz besonderen Gegenstand, die Liebe.

Alle Teilnehmer dieses Gastmahls sollen ihre Meinung zum Thema Liebe, ihrem Wesen und in der Welt und ihrem spirituellen Gehalt, mitteilen und sich im Redewettkampf argumentativ beweisen. Die Vorstellung von den berühmten „Kugelmenschen“, die ihre verlorene Hälfte suchen, stammt nun vom Teilnehmer Aristophanes, der ein Komödiendichter war (schwant Ihnen etwas?). Aristophanes erklärt über den Ursprung der Menschen:

„Unsere ehemalige Naturbeschaffenheit nämlich war nicht dieselbe wie jetzt, sondern von ganz anderer Art. Denn zunächst gab es damals drei Geschlechter unter den Menschen, während jetzt nur zwei, das männliche und das weibliche; damals kam nämlich als ein drittes noch ein aus diesen beiden zusammengesetztes hinzu, von dem jetzt nur noch der Name übrig ist, während er selbst verschwunden ist. Denn Mannweib war damals nicht bloß ein Name, aus beiden, Mann und Weib zusammengesetzt, sondern auch ein wirkliches ebenso gestaltetes Geschlecht; jetzt aber ist es nur noch ein Schimpfname geblieben.



Ferner war damals die ganze Gestalt eines jeden Menschen rund, indem Rücken und Seiten im Kreis herumliefen, und ein jeder hatte vier Hände und ebenso viele Füße und zwei einander durchaus ähnliche Geschlechter auf einem rings herumgehenden Rücken, zu den beiden nach der entgegengesetzten Seite von einander stehenden Gesichtern, aber einen gemeinschaftlichen Kopf, ferner vier Ohren und zwei Schamglieder, und so alles Übrige, wie man es sich hiernach wohl vorstellen kann. Man ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite man wollte, sondern wenn man recht schnell fortzukommen beabsichtigte, dann bewegte man sich, wie die Ratschlagenden die Beine aufwärts gestreckt sich überschlagen, so auf seine damaligen acht Glieder gestützt schnell im Kreise fort.“2

Aristophanes zufolge seien die Menschen ursprünglich Kugeln gewesen, die zwei Köpfe, vier Arme, zwei Geschlechtsteile und vier Beine gehabt hätten. Diese Kugelmenschen seien unermesslich stark gewesen, und diese Stärke habe den Zorn der Götter hervorgerufen. Aus Eifersucht strafte Zeus, der Göttervater, die Kugelmenschen und schnitt sie in zwei Hälften, so dass der zweibeinige Mensch mit nur einem Kopf übrigblieb. Seitdem, schloss der Komödiendichter, sei jede Hälfte verzweifelt auf der Suche nach der jeweils anderen Hälfte. Hierbei gäbe es noch eine weitere Besonderheit bei diesen angeblichen Frühmenschen. Aristophanes glaubte, es habe in der Urzeit drei Arten von Kugelmenschen gegeben: männliche, weibliche und „androgyne“, männlich-weibliche.

„Es waren aber deshalb drei so beschaffene Geschlechter, weil das männliche ursprünglich von der Sonne stammte, das weibliche von der Erde, das aus beiden gemischte vom Mond, da ja auch der Mond an der Beschaffenheit der beiden anderen Weltkörper Teil hat; eben deshalb waren sie selber und ihr Gang kreisförmig, um so ihren Erzeugern zu gleichen.“3 Wo ein vormals männlicher Kugelmensch getrennt wurde, seien die männlichen Homosexuellen entstanden, wo ein vormals weiblicher Kugelmensch getrennt wurde, seien die weiblichen Homosexuellen entstanden, und wo ein „androgyner“ Kugelmensch gespalten wurde, gingen ein Mann und eine Frau daraus hervor, die sich seit der Trennung nacheinander sehnten wie nach einer einst verlorenen Hälfte.
 
Man sieht: Aristophanes versucht eine vorwissenschaftliche Theorie darüber, wie menschliche Homo- oder Heterosexualität zustande kommt,4 aber es ist nicht wirklich eine erwiesene Sache, dass jeder Mensch „den“ Seelenpartner sucht, findet, braucht – abgesehen davon, dass es eine Idee aus der Komödie ist!

Zuletzt gewinnt in diesem Dialog übrigens nicht Aristophanes den Redestreit um die beste Definition der Liebe, auch nicht Sokrates, sondern die Hetäre Diotima. Die erklärt den Unterschied zwischen zwei Arten von Liebe, dem „eros pandemos“5 und dem „eros uranios“, der volkstümlichen Liebe und der himmlischen Liebe. Diese beiden Arten seien wesensverschieden und sprächen Menschen in unterschiedlichen Aspekten ihres Seins an, die volkstümliche Liebe sei die körperliche, die himmlische Liebe integriere die Seele.



Die Vorstellung von zwei Arten von Liebe – körperlich und vergeistigt – ist nicht nur bei Platon und der griechischen Philosophie zu finden, sondern auch in islamischen Quellen. Bei Ibn Hazm (994-1064) hieß es: „Die Einheit der Seelen ist tausendmal schöner als jene des Körpers“.6 Aspekte dieser in vielen Kulturen existierenden Unterscheidung von zwei Liebesarten finden sich später im europäischen Mittelalter auch bei den Troubadours und im berühmten Minnekult, der „niedere minne“ und „hohe minne“ unterscheidet und der „hohen minne“ den Vorzug gibt.
 
Doch bleiben wir kurz bei Platon: Diotimas Vortrag umschreibt auch den häufig missverstandenen Begriff „platonische Liebe“. Die platonische Liebe bedeutet nicht einen Ausschluss vom Sexuellen, sondern eine Erhöhung des Sexuellen ins Kosmische. Die platonische Liebe soll auf einer Stufenleiter über die materiellen Dinge und die Schönheit des Körpers hin zu den Wissenschaften und Künsten und zuletzt den Ideen führen, deren höchste die Idee des Guten, Wahren und Schönen sei.

1Wer es nachlesen möchte: East of the sun and west of the moon, z.B. von Mercer Mayer (1980) – ein wunderschönes Märchen aus Norwegen, perfekt für Ihre Leseabende am Kamin!
2Platon, Symposion, Kap. 14
3ebenda
4Ähnlich wie der US-Erfolgsautor John Gray „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ sagte, wollte Aristophanes sagen „Schwule sind von der Sonne, Lesben vom Mond.“
5Der „eros pandemos“ war Schirmherr der Bordelle im antiken Athen, während „eros uranios“ ein dichterischer Begriff ist, s. Paul Frischauer, Die Liebessitten der Völker Bd. 1, (o.J.), S. 265.
6Friedhelm Decher, Liebe und Erotik im Wandel der Zeiten, Quelle: http://www.philosophia-online.de/mafo/essay_index.htm

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