Orakel international - Belgien: Das Wachs-Orakel sagt die Zukunft

Belgien war für den politischen Denker Karl Marx „eine Fusion des Kapitals“. Der spöttische Spruch ist nicht ganz unwahr, denn der pittoreske kleine Staat zwischen Frankreich und den Niederlanden, der heute zu den BENELUX-Ländern gehört, ist eine historische recht junge Gründung, und ganz unbeteiligt war „das Kapital“, wie Marx sagt, nicht daran.

Belgien wurde erst 1830 politisch unabhängig und 1831 zum Verfassungsstaat, und es ist – mit der Hauptstadt Brüssel – heute ein Zentralsitz der Europäischen Union und Machtzentrale der europäischen Institutionen, was von manchen begrüßt, von anderen kritisch gesehen wird.

Der sogenannte EU-Bürokratismus hat heute seinen Einzug in Brüssel gehalten, und leider ist die Hauptstadt Belgiens in jüngster Zeit auch von Terrorattacken nicht verschont geblieben. Die stürmische politische Situation der Gegenwart hat jedoch mehrere historische Gründe und Vorläufer, denn dieses kleine Land hat eine innere Spaltung erlebt durch zwei unterschiedliche Kulturen, die es seit langem geprägt haben: das französischsprachige Wallonien und das deutsch- oder niederländisch-sprachige Flandern.

Was sind typische Orakel für Belgien? Grundsätzlich muss man sich die Landesgeschichte anschauen und die Kultur der Regionen, wobei das südliche Wallonien eine ganz andere Kultur hat als das nördliche Flamen oder Flandern. Wallonien ist französisch geprägt, auch in der Lebensart, die nördlichere Region Flandern hingegen hat einen stark niederländischen Einfluss.

Auf Orakel-Traditionen bezogen heißt das, dass es viele verschiedene divinatorische Einflüsse zugleich gibt: Kartenkunst in Wallonien mit den Skat- und Lenormand-Karten, wie im benachbarten Frankreich, aber auch das sogenannte Wachs-Orakel in Flandern, und das ist eine außergewöhnliche Technik…

Wachsgießen (griechisch Ceromantie, von ceros, Wachs und mantein, wahrsagen) ist eine alte Technik der Orakelkunde, die in vielen europäischen Ländern verbreitet ist, doch das Wachsorakel in Belgien, genauer gesagt in Flandern, hat eine besondere Tradition.

Flandern ist ein katholisches Land, anders als die Niederlande, die direkt angrenzen. In den vielen katholischen Kirchen in Flandern, in Brügge, Gent, Antwerpen und Ostende, gibt es wunderschöne Altäre und riesige Kerzen, die einst den Kaufleuten, aber in Meeresnähe auch den Schifffahrern Glück und Beistand bringen sollten.

Da der Umgang mit Weihrauch und Wachs für gläubige Flamen (so heißen die Bewohnern von Flandern) zum Alltag gehörte, lag es nicht fern, auch ein Orakel mit dem Wachs zu versuchen und so einen Blick in die Zukunft zu erlangen.

Wie das geht, erklären wir nun. Man benötigt eine kleine Schale mit Wasser, einen Löffel, etwas Kerzenwachs und eine Kerze – es muss keine geweihte Kerze aus einer Kirche sein, auch wenn das traditionelle Orakel eine solche vorsieht. Zuerst legt man das Wachsstück auf den Löffel und hält diesen über die Schale mit Wasser.

Mit Hilfe eines Feuerzeugs, das man anzündet und unter den Löffel hält, erwärmt man diesen solange, bis das Wachs darin schmilzt. Dann gießt man das flüssige Wachs in die Schale mit Wasser und deutet die Figuren, die das Wachsstück beim Erkalten formt.

Ist es ein Herz? Dann steht eine positive Überraschung in der Liebe bevor. Ist es ein Anker? Dann kommt der Liebste in seinem Beruf gut voran (die Flamen waren oft Seefahrer!). Gibt es eine Formation, die wie eine Wolke aussieht, herrscht aber bald „Gewitterstimmung“.

So muss man deuten, wenn man das magische Wachs über seine Zukunft sprechen lassen will… Das belgische Wachsorakel funktioniert so einfach, dass auch Kinder und Jugendliche – aber natürlich nur in Begleitung Erwachsener! – es ausführen können, und es ist wesentlich weniger gefährlich als das bekannte Bleigießen, das oft in Deutschland an Sylvester (31.12.) praktiziert wird.

Dennoch muss man sich vor Spritzern heißen Wachses in Acht nehmen, wenn man das Schicksal konsultiert, und vorsichtig beim Ausgießen sein. Was liegt heute in unserer Zukunft? Deuten wir die Wachsformen, und finden wir es heraus…